Schliefen die „Leute der Höhle“ wirklich 309 Jahre lang?

 

Nach den klassischen Korankommentatoren handelt es sich bei den „Männern der Höhle“ um gläubige Christen, die während der Regierungszeit von Kaiser Decius (249-251 n. C.) gewaltsam verfolgt wurden. Der Grund für ihre brutale Unterdrückung und Verfolgung war, dass sie neuerdings anfingen, den monotheistischen Glauben öffentlich zu predigen. Die damalige Staatsreligion war jedoch die römische Religion.

Der in Bukarest geborene (1907) Religionswissenschaftler Mircea Eliade schreibt zu dieser Religion folgendes: „Im 3. Jahrhundert sind die Kaiser bestrebt, sich mit Götter zu identifizieren: Septimius Severus und seine Gemahlin Julia Donna lassen sich anbeten wie Jupiter und Juno.“ (Handbuch der Religionen, S. 122) Auch berichten die zahlreichen muslimischen Geschichtsschreiber, dass sie erst nach einem langen Schlaf (dreihundertneun Jahre) in der Herrschaftszeit von Kaiser Theodosium II (408-450 n. C.) wieder erwachten. Als Beleg für den langen Zeitraum ihres Schlafes, wird dieser Koranvers herangezogen: „Und sie verweilten in ihrer Höhle dreihundert Jahre und neun dazu.“ (18:25.Übersetzung nach Ahmad von Denffer)

„Und sie blieben dreihundert Jahre lang in ihrer Höhle…“ (18:25. Übersetzung nach Muhammad Rassoul)

„Und sie verweilten dreihundert Jahre in ihrer Höhle…“ (18:25. Übersetzung nach Rudi Paret)

Der Historiker und Hadith- Spezialist ibn Kathir (gest. 1387) kommentierte den Aufenthalt der Männer  in der Höhle folgendermaßen: „Hier berichtet Gott, wie lange sie in der Höhle schliefen. Nach dem Mondjahr waren es dreihundertneun Jahre und nach dem Sonnenjahr dreihundert Jahre. Der Unterschied liegt daran, dass zwischen dem Mond und dem Sonnenjahr alle hundert Jahre eine Differenz von drei Jahren entsteht.“ (Tafsir al- Quran al- adhim, Bd. 6, S. 81)

Schliefen sie wirklich so viele Jahre in der Höhle, wie uns ibn Kathir glauben lassen will? Gibt es unter den Korankommentatoren auch andere Auslegungen und Betrachtungsweisen zu dem Ereignis?

Muhammad Asad übersetzt den Koranvers, indem er in Klammern Einschübe hinzufügt, was den Sinn und Gehalt diametral verändert:

„Und (einige Leute behaupten) Sie bleiben dreihundert Jahre in ihrer Höhle; und einige haben (dieser Zahl) neun hinzugefügt. Sag: Gott weiß am besten, wie lange sie (dort) blieben.“ (18:25. Die Botschaft des Koran, S. 561)

Hiernach waren es die Menschen jener Zeit, die über die Anzahl der Jahre spekulierten und keine Darlegung Gottes war, was die Jahre betrifft: Sag: Gott weiß am besten, wie lange sie (dort) blieben.

Schon im Vers 22 zuvor begannen die Menschen über die Anzahl „der Männer der Höhle“ zu spekulieren: „(Und in kommenden Zeiten) werden einige sagen: (Sie waren) drei, der vierte von ihnen war ihr Hund, während andere sagen werden: Fünf, mit ihrem Hund als sechstem von ihnen- müßig über etwas vermutend, wovon sie kein Wissen haben können- und (so weiter, bis) einige sagen werden: (Sie waren) sieben, der achte von ihnen war ihr Hund.“ (18:22- Übersetzung nach Muhammad Asad)

Asads Interpretation erhält auch von den modernen Koranexegeten wie Mustafa Islamoglu, Süleyman Ates und Ihsan Eliacik Unterstützung. Eliacik schreibt dazu: Es war die damalige Bevölkerung, die den langen Zeitraum von dreihundert neun Jahren überlieferten.“ (Yasayan Kuran, S. 459)

Der Propheten Gefährte Abdullah ibn Mesud (gest. 653), der zugleich auch als einer der ersten Korangelehrten gilt, erläuterte den Koranvers 18:25 wie folgt: „Sie (die Bevölkerung) sagten dreihundert Jahre und fügten später 9 Jahre hinzu.“ (Tabari (gest.923) Cami u´l-beyan, Bd. 15, S. 231. siehe auch: Zamakhschari (gest.1140) Kessaf: Bd. 2, S. 481)

Ibn Mesuds Kommentierung findet neuerdings auch in neu erschienenen Koranübersetzungen Anklang, wie die von Mustafa Öztürk 2011 veröffentlichte Ausgabe (Anlam ve Yorum Merkezli Ceviri, Düsün Yayincilik). In der Fußnote zum maßgeblichen Koranvers 18:25 fügt Öztürk die Sichtweise von Ibn Mesud zu (Kuran-i Kerim, S. 407, Fußnote 312).

Auch in den deutschsprachigen Koran-Ausgaben bleibt es zu hoffen, dass in Zukunft diese Interpretation ihren Eingang findet. Allerdings bleibt und ist Muhammad Asads „Botschaft des Koran“ (im Moment noch) eine Rarität unter den zahlreichen Koranübersetzungen.

 

 

 

ÜBER DEN AUTOR

Ecevit Polat

15 Kommentare

  • Selam Eddy,

    Der von Dir eingebrachter Vers lautet: Sure 2 Vers 259:

    Oder (kennst du nicht) einen ähnlichen, denjenigen, der an einer Stadt vorbeikam, die wüst in Trümmern lag‘? Er sagte : „Wie sollte Allah diese (Stadt ) wieder lebendig machen, nachdem sie ausgestorben ist?“ Da ließ Allah ihn (für) hundert Jahre tot sein. Hierauf erweckte Er ihn und sagte: „Wie lange hast du verweilt?“ Er sagte : „Ich verweilte einen Tag ode r den Te i l eines Tages . “ Er s agt e : „Ne in! Vielmehr verweiltest du hundert Jahre. Nun schau deine Speise und dein Getränk an! Sie sind nicht verfault. Und schau deinen Esel an! – Und damit Wir dich zu einem Zeichen machen für die Menschen. Und schau die Knochen an, wie Wir sie zusammensetzen und sie hierauf mit Fleisch bekleiden!“ Nachdem es ihm klar geworden war, sagte er: „Ich weiß (jetzt), daß Allah zu allem die Macht hat.“

    Bist Du der Meinung, dass man die Zahl einhundert nicht wörtlich nehmen sollte? Wenn nein, wie würdest Du das begründen?

  • Das ist eine sehr gute Frage mein Freund!

    İch sage zuallererst “Gott“ weiss es am Besten.

    Also zuallererst sollten wir festhalten, dass nach meinem Verstaendnis bei “Gott“ alles möglich ist auch wenn wir unsere 3 Dimensionale Welt meistens für “das Normale“ halten. İch weiss zB das die Zahl 7 im arabischen eine Bedeutung für “mehrere“ sein kann – bei 100 ist mir das nicht bekannt.

    Fazit: İch halte es mir offen weil ich nicht ganz sicher sein kann deswegen halte ich einmal die metaphorische und auch die eindeutige Version für möglich!!

    LG Eddy

  • Ich finde Deine Haltung und Einstellung sehr interessant, da Du beide Optionen offen lässt. In der Tat gibt es nur sehr wenige- vielleicht eine handvoll Koranexegeten, die den Koranvers nicht herkömmlich interpretieren. So z.B. der türkische Theologe Ihsan Eliacik.
    Eliacik versteht die hundert Jahre Sinngemäß so: „Es geht in diesem Vers nicht darum, dass er hundert Jahre im Schlaf war, sondern es geht um eine Geschichte in dieser Erzählung, dass ein anhaltender Krieg von hundert Jahren geführt wurde.“

    Allahu alem- und Gott weiß es am besten.

  • Man muss auch bei Sure 2:259 den Kontext mitbeziehen da will zB – nur ein Vers weiter – Abraham auch einen Beweis “damit mein Herz völlig zur Ruhe komme“ “Gott“ soll İhm zeigen wie Er den Toten wieder Leben gibt – “Gott“ selbst laesst aber ein anderes Wunder geschehen: Anstatt Tote wieder Lebendig zu machen sagt Er zu Abraham:“Nimm denn vier Vögel und lehre sie, dir zu gehorchen; dann setzte sie getrennt auf jeden Hügel (um dich herum): dann rufe sie zusammen: sie werden zu dir geflogen kommen. Und wisse, dass Gott allmaechtig , weise ist. (2:260)

    Wie kann man das jetzt mit Sura 2:259 in Zusammenhang bringen?

    Meiner Meinung nach wollen uns diese beiden Verse zeigen, dass es das wichtigste ist, zu glauben, glauben ohne Beweise – denn im Koran steht auch oft genug, dass selbst wenn man manchen Menschen Beweise zeigt, sie immer noch nicht glauben wollen und so ist es allein “Gottes“ Entscheidung wann und warum ein Wunder geschen soll…

  • Salam Bruder!! Ich bin echt geschockt und bin bis zum heutigem Zeitpunkt nicht drauf gekommen.So habe ich das noch nicht betrachtet.Danke für diesen super Beitrag!!

  • selam ihr beiden. Ihsan Eliacik hat mich wieder mal überzeugt. in Sure 2:260 ist das kein Mann der da Spricht, sondenr die Stadt selber im metaphorischem Sinne. Als Beipsiel führt er andere Verse auf wo z.B: „Gott Sprach zur Erde“ oder „Die Erde Himmel Antworteten“ etc.., die Rede ist. Eine sehr rationale Interpretation. Super

  • Hallo Baycan,

    Also Bobzin, Asad, Öztürk und Hofmann übersetzen alle mit “Abraham“ in Sure 2:260 und es gibt keinen vorherigen Kontext zu dieser Geschichte soweit ich weiss; wie kommt Eliacik zu der These, dass nicht zu Abraham sondern zu einer ganzen Stadt gesprochen wird?

    Letztendlich weiss “Gott“ am Besten

    LG Eddy

  • Slm Baycan,

    Wenn nur die Stadt gemeint waere würde das aber nicht zum Kontext passen weil ja dort wörtlich steht (am Anfang von 2:259):“ wie derjenige, der an einer Stadt vorbei ging“ (Asad auch Bobzin oder YNÖ) da würde ich aufpassen oder wie meint Eliaçik das genau? Eine Metapher scheint mir hier nicht gegeben zumindest nicht auf den Bezug das “derjenige“ symbolisch die Stadt darstellen soll – denn dann würde die weiterlaufende Geschichte nicht stimmig sein, oder?

    İch denke das es auch egal ist ob es so rum oder so rum gemeint ist – wichtig ist der Sinn: “dass Gott die Macht hat alles zu wollen“

    İch denke, wir sollten bei einer vernunftorientierten İnterpretation dies nie ausser Acht lassen…

    Aber “Gott“ weiss es am Besten…

  • Natürlich ist der Sinn nicht außer Acht zu lassen. Jedoch müssen wir vorsichtig sein wenn wir nur den Sinn herausfiltern, dass Gott die Macht hat alles zu tun. Das tut Er ja sowieso. Die Christen berufen sich auch darin und sagen “Wenn Gott die Macht hat alles zu tun, kann er auch ein Sohn zeugen”. Ich finde wir müssen schon vielmehr versuchen auch die Beispiele zwischen Metapher und Wunder zu unterscheiden. Und gerade diese Unterschiede herauszufiltern bringt eine große Herausforderung.

    “”wie derjenige, der an einer Stadt vorbei ging”” sagt Eliacik folgendes. Er sagt, “es sieht so aus, als würde hier von einem Mann statt von einer Stadt die Rede ist” er begründet diese Interpretation mit folgenden 2 Vers die ähneln und sieht darin den Zusammenhang wie im metaphorischem als auch im eigentlichem Sinne:

    “”Und unter Seinen Zeichen ist dies: daß du die Erde leblos und verdorrt siehst, doch wenn Wir Wasser auf sie niedersenden, dann regt sie sich und schwillt. Er, Der sie belebte, wird auch die Toten sicherlich lebendig machen, denn Er vermag alles zu tun. “” (41:39)

    “”Dann wandte Er Sich zum Himmel, welcher noch Nebel war, und sprach zu ihm und zu der Erde: “Kommt ihr beide, willig oder widerwillig.” Sie sprachen: “Wir kommen willig.” (41:11)

  • Ah ok ich verstehe worauf du hinaus willst – denselben Ansatz unterstütze ich auch, dass man es eben metaphorisch und sinnlich verstehen kann

    LG Eddy

  • genau darauf will ich hinaus mein Freund. Wenn Gott sagt „Wie jener der an der Stadt vorbei ging“ ist von Anfang an eine Metapher. Dass die Früchte nicht verdorben sind und die Stadt nicht mehr leblos ist bezieht er sich auf die 41:11, und das dies eine Person sein soll und von einem Mann die rede ist, soll laut Eliacik nur eine Metapher sein und bezieht sich dabei auf die 41:39. Und das ist eine Vernunftrorientiert rationale Denkweise die ich unterstreiche :))

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