1) In der Bibel, vor allem im Neuen Testament, ist von Gott als Vater die Rede.
Der Koran benutzt diese Bezeichnung, die mit Vorstellungen von Geschlecht und
Sexualität verbunden ist, kein einziges Mal als Eigenschaft Gottes.
Stattdessen tritt Er im Koran als Schöpfer auf. Alle 99 „Namen Gottes“ im Koran beziehen sich auf Tätigkeiten ohne Geschlechtsbezug.
2) Die Bibel geht davon aus, dass die Schöpfung des Universums Gott ermüdet hatte, weshalb er am 7. Tag ausruhte und aufatmete (Genesis 2,2; Exodus 20, 11; 31, 17).
Entgegen dieser anthropomorphen Gottesvorstellung macht der Koran klar, dass Gott kein Bedürfnis nach Schlummer oder Schlaf hat (2: 255), zumal er nicht ermüdet (50: 38).
3) Geradezu amüsant ist es, dass die Welt nach hebräischem Kalender nicht vor 4-6 Milliarden, sondern vor derzeit 5762 Jahren erschaffen worden sein soll.
Der Koran macht keine anfechtbaren Angaben dieser Art.
4) Die Schöpfungsgeschichte der Bibel unterscheidet sich wesentlich von der im Koran:
a) Der Bibel zufolge sollen Adam und Eva davor gewarnt worden sein, vom „Baum der Erkenntnis“ zu essen, weil ihnen sonst die Augen aufgehen würden und sie dann Gut und Böse zu unterscheiden wüssten (Genesis 3, 5, 22).
Der Koran stellt klar, dass es gerade Ziel seiner Botschaft ist, die Menschen den Unterschied zwischen Gut und Böse (arabisch „al-furqan) erkennen zu lassen, nicht aber sie von der Erkenntnis abzuhalten. Er bezeichnet sich daher als Richtschnur, Maßstab und Unterscheidungsnorm (2: 53, 185; 3: 4; 25: 1).
Im Koran wird überhaupt nicht erläutert, warum es verboten war, vom fraglichen Baum zu essen (7: 19). Es war allein Satan, der vorspiegelte, dessen Früchte würden Engelnatur oder Unsterblichkeit verleihen (7: 20; 20: 120).
b) Der Bibel zufolge verführte Eva Adam zum Sündenfall (Genesis 3, 1, 7, 12).
Sie nahm zuerst von der Frucht. Schon Adam warf ihr dies vor und Paulus führte die so einsetzende pauschale Frauenschelte mit später tragischen Folgen kräftig fort (2 Korinther 11, 3; 1 Timoteus 2, 14).
Der Koran schildert die gleiche Begebenheit unter Benutzung des Duals. Aus dieser grammatikalischen Form ergibt sich, dass Adam und Eva gemeinsam handelten. Daher konnte keiner dem anderen Vorwürfe machen.
c) Nach der Bibel bestrafte Gott den Sündenfall mit Fortwirkung für die gesamte Menschheit: Frauen sollen dem Mann Untertan sein und ihre Kinder in Schmerzen gebären (Genesis 3, 16); Männer sollen sich im Schweiße ihres Angesichts nur mühsam ernähren können (Genesis 3, 17).
Gott vertrieb beide Übeltäter aus dem Paradies, ohne ihnen zu verzeihen.
Aus dieser Schilderung entwickelte sich später die fatalistische christliche Theorie von einer Erbsünde, wonach alle Menschen von Geburt an sündig und somit erlösungsbedürftig sind. Auf dieser Basis wurde die Hinrichtung des „Gottmenschen“ Jesus am Kreuz von Paulus als erlösender „Opfertot“ ausgelegt (u.a. Römer 5, 13-19).
Wie Jesus selbst (Matthäus 19, 14) geht der Koran hingegen davon aus, dass Kinder sündenfrei geboren werden, also nicht taufbedürftig sind, weil es keine Erbsünde gibt (39: 70).
Gott erwies Adam und Eva nach Koranischer Schilderung zwar des Paradieses (7: 24), aber verzieh ihnen (2: 37; 20: 122). Im Übrigen hält der Koran am fundamentalen Grundsatz fest, wonach jeder nur für sein eigenes Verhalten haftet, schließt also Kollektivschuld kategorisch aus (52: 21): Keiner schleppt sich mit des anderen moralischer Last ab (17: 15).
5) Ein Haupttopos der Bibel ist die Auserwähltheit der Kinder Israels durch den „eifersüchtigen“ „Gott Israels“ (u.a. Exodus 34, 14; 1 Samuel 25, 32), neben dem es „fremde Götter“ zu geben scheint. Im Gegensatz zu diesem qualifizierten Monotheismus bezeichnet sich Gott im Koran als „Herrn der Menschen, Herrscher der Menschheit, Gott der Menschen“ (114: 1) – aller Menschen, ist Er doch der Herr des gesamten Universums (1: 2).
6) Obwohl es vor Moses in Ägypten keine Pharaonen, sondern Könige gab, bezeichnet die Bibel die ägyptischen Herrscher durchgehend als „Pharaonen“ (vgl. Exodus 40, 2, 22, 13, 17).
Obschon der wahre Sachverhalt im 7. Jahrhundert noch unbekannt war, unterscheidet der Koran genau zwischen dem „König“ von Ägypten und, mit dem es Joseph zu tun hatte (12: 43, 50, 54), und dem „Pharao“, mit dem Moses es zu tun bekam (u.a. 2: 49; 44: 17, 31).
7) Nach Schilderung der Bibel war Noah dem Trunk ergeben (Genesis 9: 20), Abraham und Isaak werden als Lügner geschildert (Genesis 12, 10; 26, 1), Moses als brutaler Eroberer (Deuteronomium 3, 6), David als Tyrann, Ehebrecher und Mörder (2 Samuel, 3, 12 und 16; 11, 2-26), Salomo als Willkürherrscher, Frauenheld und sogar Apostat (1 Könige 2, 13, 11, 1-9); Lot wird Inzest im Rauschzustand zur Last gelegt (Genesis 19, 31). Der Koran geht hingegen davon aus, dass alle Propheten, also auch die genannten, ein durchwegs tugendhaftes, wenn nicht sündenfreies Leben geführt haben.
8) Der Koran schildert die Kreuzigung Jesu anders als das neue Testament.
Danach ist Jesus nicht am Kreuz gestorben (4: 157).
9) Der Koran schränkt die Erfahrbarkeit und Erkennbarkeit Gottes nicht auf eine Person – Jesus – oder heilige Schriften ein, sondern stellt immer wieder die Natur, den Kosmos, das Universum als Manifestation Gottes in den Mittelpunkt.
Der religiöse Naturalismus ist der Bibel eher fremd.
In dieser Liste von Widersprüchen werden weder Inkarnation (Jesus als Gott) noch Dreifaltigkeit (Trinität) aufgeführt, weil es für beide Dogmen keine Belegstellen im Text der Evangelien oder der Apostelgeschichte gibt.
Doch ist diese Liste lang genug, um verständlich zu machen, warum die muslimische Welt die Bibel für teilweise verfälscht und daher unzuverlässig hält (2: 174) und sich daher – dogmatische Verknüpfung hin oder her – lieber an den Koran hält.
Tatsächlich spielt die Bibel nicht de jure, jedoch de facto für Muslime keine wichtige religiöse Rolle mehr; der Koran ist zu ihrem ersten und letzten Bezugsrahmen geworden.
Diese reduktionistische Einstellung kann auf Aussagen des Koran gestützt werden, wonach…
„Muhammad ist nicht der Vater eines euerer Männer, sondern Gottes Gesandter und das Siegel der Propheten. Und Gott kennt alle Dinge.“ – …Gott im Koran nach Sure 6, Vers 38 nichts wissenswertes ausgelassen hat:
„…Nichts haben Wir in dem Buch übergangen…“ – …die Religion Gottes mit Vollendung des Korans nach Sure 5, Vers 3 ebenfalls vollendet wurde:
„Heute habe Ich euren Glauben vollendet für euch vollendet und habe meine Gnade an euch erfüllt, und es ist Mein Wille, dass der Islam euer Glaube ist…“.
Die Muslime verhalten sich damit gegenüber der Bibel etwa wie Katholiken zum Alten Testament.
Es ist daher nicht ganz konsequent, wenn Muslime ihre Argumentation auf Texte stützen, die sie vielfach in Frage stellen, etwa um aus Deuteronomium 18, 15 und 18 sowie Johannes 14, 26 und 16, 13 eine göttliche Vorankündigung Muhammads nachzuweisen.