Unter den muslimischen Gelehrten ist bis heute umstritten, ob die Bibel zum Verständnis des Korans maßgeblich beitragen kann. Unter dem Sammelbegriff „Israliyat“, werden hauptsächlich Berichte und Überlieferungen betrachtet, die durch die vorkoranische Offenbarung und Erzählungen Eingang in die islamische Literatur gefunden haben (siehe hierzu detailliert: Islam nasil yozlastirildi, S. 25-26, 18. Auflage Yasar Nuri Öztürk).
Für den Theologen Fevzi Zülaloglu steht außer Frage, ob das vorkoranische Material für die Erläuterung des Korans herangezogen werden kann. In seinem Werk „Koran, unsere grundlegende Quelle“ schreibt er dazu: „Durch dieses „Israliyat“ sind viele falsche Informationen und Aberglauben (hurafa) an die Muslime herangetragen worden“ (Temel Kaynagimiz Kur´an, S. 39, 4. Auflage).
Zülaloglu warnt die Muslime eindringlich davor, den biblischen Stoff für die Koranexegese zu verwerten. Ein anderer Zeitgenosse von der theologischen Fakultät in Ankara Prof. Baki Adam, widerspricht vehement all jenen, die nicht für die Erläuterung des Korans die Bibel in Betracht ziehen wollen. Auch kritisiert Prof. Adam die muslimischen Koranexegeten vor allem deshalb, weil sie unverblümt mit einer Art Doppelmoral im Verhältnis zur Bibel stehen. Als Beispiel führt er den türkischen Gelehrten Muhammed Hamdi Yazir (gest. 1942) vor. In seinem Tafsir Werk „Hak Dini Kur´an Dili“ schreibt er sinngemäß zu Sure 5 Vers 48-49 den folgenden Satz: „Deshalb betont der Koran, nicht von den Leuten aus der Vergangenheit, die aus der Thora und dem Evangelium überlieferten Parabeln und Gesetze Glauben zu schenken, sondern nach dem Verständnis des Koran und den Erklärungen des Propheten zu trachten“ (Hak Dini Kur´an Dili, Bd. 3, S. 193, Auflage 1990).
Erstaunlicherweise zieht der Koranexeget Hamdi Yazir in derselben Sure ausschließlich biblisches Schriftmaterial hinzu, wenn es um die geschichtlichen Hintergründe diverser Themen im Koran geht. Im Koranvers 5:12 heißt es: „“Wahrlich, Gott hatte einen Bund mit den Kindern Israels geschlossen; und Wir erweckten aus ihnen zwölf Führer. Und Gott sprach: „“Seht, Ich bin mit euch, wenn ihr das Gebet verrichtet und die Zakah entrichtet und an Meine Gesandten glaubt und sie unterstützt und Allah ein gutes Darlehen gebt, dann werde Ich eure Missetaten tilgen und euch in Gärten führen, in denen Bäche fließen. Wer von euch aber hierauf in den Unglauben zurückfällt, der ist vom rechten Weg abgeirrt„.
Hamdi Yazir behandelt in seinem Korankommentar ausführlich die Geschichte zu 5:12 über die Kinder Israels. Selbst die Namen einiger der zwölf Personen wie: „Kaleb ibni Yufenna, Efraim ibni Yusuf und Yusa ibni Nun“ werden namentlich von ihm sogar beschrieben (siehe hierzu: Hak Dini Kur´an Dili, Bd. 3, S. 118, Auflage 1990).
Dr. Baki Adam schlussfolgert deshalb: „Meine Überzeugung ist, dass einige Koranverse im Lichte der vorangegangenen Bücher besser zum Verständnis beitragen können. Besonders das Alte Testament wäre von grundlegender Bedeutung“ (Baki Adam, Islami Arastirmalar, Bd. 9, S. 167, Sonderausgabe 1-4, 1996).
In seiner Dissertation würdigt Prof. Abdullah Takim den Korangelehrten Prof. Süleyman Ates für seinen Beitrag zum richtigen Verständnis der heiligen Schrift. Dieser hatte Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen 12 bändigen Korankommentar unter dem Titel „die zeitgenössische Interpretation des Erhabenen Korans“ herausgegeben. Ein wesentlicher Punkt, den sein Kommentar von anderen Werken auszeichnet, wird von Takim wie folgt beschrieben: „Süleyman Ates´s Erklärungsmethode besteht primär darin, den Koran durch den Koran, durch die Hadite oder durch die Bibel zu deuten, das heißt, dass die koranischen Verse durch authentische Hadite oder durch andere thematisch ähnliche Verse des Korans oder der Bibel gedeutet werden“ (Islamische Tradition und neue Ansätze, S. 27).
In Sure 2 Vers 259 wird von einer unbekannten Person berichtet, den Gott sterben ließ und nach hundert Jahren wieder lebendig machte, um so Seine Macht ihm zu demonstrieren. So heißt es im Vers: „Oder (hast du auch nicht über) den (nachgedacht), der an einer Stadt vorüberkam, die wüst in Trümmern lag? Da sagte er: „“Oh, wie soll Gott dieser nach ihrer Zerstörung wieder Leben geben?““ Und Gott ließ ihn für hundert Jahre tot sein. Dann erweckte Er ihn wieder. Er sprach: „“Wie lange hast du verharrt?““ Er sagte: „“Ich verharrte einen Tag oder den Teil eines Tages.““ Da sprach Er: „“Nein du verharrtest einhundert Jahre. Nun betrachte deine Speise und deinen Trank. Sie sind nicht verdorben. Und betrachte deinen Esel. Wir machen dich damit zu einem Zeichen für die Menschen. Und betrachte die Knochen, wie Wir sie zusammensetzen und dann mit Fleisch bekleiden.““ Und als ihm dies klargemacht worden war, sagte er: „Ich weiß, dass Gott Macht hat über alle Dinge“ (Koran 2:259).
Um diesen Vers in seinen geschichtlichen Kontext richtig einordnen zu können, ist es unabdingbar, die Bibel als Erläuterung hinzuzuziehen, um sich ein klares Gesamtbild machen zu können. Denn im Koran wird nicht erläutert, um wen es in dem Vers hauptsächlich geht. Vor allem aber auch, weshalb Gott diese angesprochene Person hundert Jahre Tod ließ und dann wieder erweckte?
Prof. Mustafa Öztürk erläutert den obigen Vers in seiner Koranübersetzung dahingehend, dass es sich bei der Person nicht wie von vielen muslimischen Koranexegeten angenommen um Uzair handelt, sondern mit größter Wahrscheinlichkeit um den biblischen Propheten Hesekiel. Tatsächlich ergibt sich erst nach der Lektüre in der Bibel im Kapitel „Hesekiel“ erst ein Gesamtbild zum Hintergrund zum Koranvers 2:259. Hernach wird die Auferstehung von Hesekiel nach hundert Jahren als Symbol für die Befreiung und die erneute Wiedergeburt der Kinder Israels aus Babylon von Mustafa Öztürk gedeutet, weshalb er auch in seiner Fußnote die biblische Quelle angibt: „Hesekiel 37/1-14“ (siehe: Kur´an-i Kerim Meali, S. 62).
So wird in Hesekiel 37/1-14 unter der Überschrift „Israel, das Totenfeld, wird durch Gottes Odem lebendig“ die folgende Geschichte erzählt: „Und des HERRN Wort kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich auf ein weites Feld, das voller Totengebeine lag. Und er führte mich allenthalben dadurch. Und siehe, des Gebeins lag sehr viel auf dem Feld; und siehe, sie waren sehr verdorrt. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du auch, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, HERR, das weißt du wohl. Und er sprach zu mir: Weissage von diesen Gebeinen und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort! So spricht der Herr, HERR von diesen Gebeinen: Siehe, ich will einen Odem in euch bringen, dass ihr sollt lebendig werden. Ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen und euch mit Haut überziehen und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Und ich weissagte, wie mir befohlen war; und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. Und ich sah, und siehe, es wuchsen Adern und Fleisch darauf, und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. Und er sprach zu mir: Weissage zum Winde; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Wind: So spricht der Herr, HERR: Wind komm herzu aus den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße. Und ihrer war ein großes Heer.
Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns .Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und will euch, mein Volk, aus denselben herausholen und euch ins Land Israel bringen; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber geöffnet und euch, mein Volk, aus denselben gebracht habe. Und ich will meinen Geist in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.
In der Geschichte der islamischen Koranexegese war die Deutung des Korans durch die Bibel kein unbekanntes Feld gewesen. Bereits in der Frühzeit benutze Abu Cafer Taberi (gest. 923) für die Erläuterung sämtlicher Koranstellen die Bibel ohne Scheu. Der Orientalist Prof. Ignaz Goldziher (gest. 1921) lobte den Korankommentar von Taberi (gest. 923) unter anderem auch deshalb, weil dieser an etwaigen Stellen, die biblischen Legenden und Quellen für seine Exegese heranzog. Goldziher gesteht aber auch ein, dass nicht alle Vorgänger der muslimischen Gelehrten Taberis Vorgehensweise mit Sympathien begegnen würden: „Dabei macht er auch ausgiebigen Gebrauch von den hinsichtlich biblischer Legenden aus Quellen jüdischen Ursprungs (Ka´b al-ahbar, Wahb b. Munabbih) abgeleiteten Mitteilungen; darin hätte er den Beifall seiner Vorgänger nicht unbedingt erhalten. Sein Werk ist vielmehr die reichlichste Fundgrube der in islamischen Kreisen gangbaren Versionen über biblische Stoffe“ (siehe: Ignaz Goldziher, Die Richtungen der islamischen Koranauslegung, S. 89-90).
Als ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit des biblischen Kommentars zum Verständnis des Korans, kann der Vers 72-73 der Sure 2 aufgeführt werden. In dem Koranvers werden die Juden an einem konkreten historischen Fall erinnert, dessen Geschichte tief im Bewusstsein des jüdischen Volkes in Medina vorhanden war. Gott verlangte von Ihnen, eine Kuh zu schlachten, um so den Mörder zu verifizieren (siehe Koran 2: 67-73). Jedoch wird im Koran nicht explizit erwähnt, weshalb eine Kuh geschlachtet werden soll. Im Koran heißt es folgendermaßen dazu: „Und als ihr jemanden getötet und darüber untereinander gestritten hattet, da sollte Gott ans Licht bringen, was ihr verborgen hieltet. „„Da sagten Wir: „“Berührt ihn mit einem Stück von ihr (der Kuh)!““ So bringt Gott die Toten wieder zum Leben und zeigt euch Seine Zeichen; vielleicht werdet ihr es begreifen.“ (Koran 2:72-73).
Im fünften Buch Mose (Deuteronomium) unter der Überschrift „Sühnung eines Mordes von unbekannter Hand“ wird der Hintergrund des koranischen Verses „Und als ihr jemanden getötet und darüber untereinander gestritten hattet“ ausführlicher erläutert. So schreibt die Bibel dazu:
„Wenn man einen Erschlagenen findet in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird, es einzunehmen, und er liegt auf freiem Felde und man weiß nicht, wer ihn erschlagen hat, so sollen deine Ältesten und Richter hinausgehen und den Weg abmessen von dem Erschlagenen bis zu den umliegenden Städten. Welche Stadt am nächsten liegt, deren Älteste sollen eine junge Kuh nehmen, mit der man noch nicht gearbeitet und die noch nicht am Joch gezogen hat, und sollen sie hinabführen in einen Talgrund, der weder bearbeitet noch besät ist, und dort im Talgrund ihr das Genick brechen. Und die Priester, die Leviten, sollen herzutreten, denn der HERR, dein Gott, hat sie erwählt, dass sie ihm dienen und in seinem Namen segnen, und nach ihrem Urteil sollen alle Sachen und alle Schäden gerichtet werden. Und alle Ältesten der Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten liegen, sollen ihre Hände waschen über der jungen Kuh, der im Talgrund das Genick gebrochen ist. Und sie sollen anheben und sagen: Unsere Hände haben dies Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben’s nicht gesehen. Entsühne dein Volk Israel, das du, der HERR, erlöst hast; lege nicht das unschuldig vergossene Blut auf dein Volk Israel! So wird für sie die Blutschuld gesühnt sein. So sollst du das unschuldig vergossene Blut aus deiner Mitte wegtun, damit du handelst, wie es recht ist vor den Augen des HERRN“ (Deuteronomium Kap. 21, 1-9).
Ob die Bibel auch in Zukunft eine nicht zu unterschätzende exegetische Funktion einnehmen wird, hängt besonders vom Korankommentator und seinem Kenntnisstand über die Bibel ab (siehe hierzu: Die Richtungen der islamischen Koranauslegung, S. 88-93).
„Auch vor dir haben wir nur Menschen als Gesandte geschickt, welchen wir uns durch Offenbarung mitteilen. Befragt deshalb nur die Schriftbesitzer (Juden und Christen), wenn ihr es nicht wisst“ (Koran 16:43).
Danke, sehr interessant
Ich kann mich Elisabeth anschließen. Ich denke das zur historischen untermauerung koranischer Aussagen die alten Bücher oder auch andere Quellen ebenfalls eignen. Jedoch stellt sich die Frage, wie weit man gehen sollte/darf? Darf ich den ethischen Werten des Korans entgegen entscheiden, weil im alten oder neuen Testament Dinge über Gesandte berichtet werden die der Natur der Propheten widersprechen? Stellenweise werden Propheten in der Bibel als Ehebrecher oder als willkürliche Mörder portraitiert. Ich kann es mir kaum vorstellen…
Selam mellymell,
tatsächlich werden in der Bibel (besonders im Alten Testament)- wie auch von Dir zum Ausdruck gebracht- die Propheten mit nicht moralischen Begebenheiten beschrieben. Ob dies mit den ethischen Grundsätzen des Korans kompatibel sind, steht außer Frage. Im Gegenteil, die Gesandten Gottes werden im Koran als beispielhafte und nachahmenswerte Persönlichkeiten dargelegt, was im Grunde der Propheten Vorstellung der Bibel diametral widerspricht. Dr. Murad Wilfried Hofmann hat diese Widersprüche im Kontrast zur Bibel, in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Koran“ Einführung brillant zusammengefasst.
Slm sehr guter Artikel
Meine Meinung ist sich primaer an den Koran zu halten jedoch wenn der Koran über ein Thema etwas nicht aussagt was in der Bibel steht dann kann man die dortige Erlaeuterung in Erwaegung ziehen ob man sich darauf verlassen kann ist offen denke ich aber das Propheten auch Fehler machten ist im Koran auch verzeichnet zB Moses, der jmd tötet
Als Musa (a.s.) erwachsen geworden ist, beobachtet er einmal einen Kampf zwischen einem Ägypter und einem Hebräer. Er eilt dem Hebräer zu Hilfe, doch durch seinen Einsatz kommt der Ägypter ums Leben. Musa (a.s.) erkennt seinen Fehler, und bittet Gott um Verzeihung: Er sagte: „Mein Herr, ich habe mir selbst Unrecht getan, so vergib mir.“ So verzieh Er ihm; denn Er ist der Allverzeihende, der Barmherzige. Er (Musa) sagte: „Mein Herr, da Du mir gnädig gewesen bist, will ich niemals ein Helfer der Sünder sein.“ (28: 16,17)
aber ich glaube da war er noch kein Prophet und Gott verzeihte ihm das
Lg Eddy