Buch-Rezension zu: Eva de Vitray-Meyerovitch, Ihr Weg zum Herzen des Islam


Es ist inzwischen nicht selten geworden, dass in unserem Alltag nicht-muslimische Persönlichkeiten zum Islam konvertieren. Die Beweggründe hierzu sind in der Tat unterschiedlicher Natur. Nach wie vor ist das inzwischen vergriffene Büchlein „Deutsche von Allah geleitet“ (Verlag: Islamische Bibliothek) oder das Buch „Mein Gott ist jetzt Allah und ich befolge seine Gesetze gern: Eine Reportage über Konvertiten in Deutschland“ von Cornelia Filter sehr hilfreich, wenn man näher erfahren möchte, welche Anlässe und Motive diese Menschen zu Ihrem neuen Glauben letztendlich dazu bewegt hat. Dennoch scheint es derweil keine Bildungslücke zu sein, wenn namhafte Persönlichkeiten – und darunter eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Wissenschaftlern – zum Islam finden. Man bedenke, welchen medialen Echo es hervorgerufen hätte, wenn die Nestorin der deutschen Islamwissenschaft Annemarie Schimmel (gest. 2003) öffentlich kundtuen würde, offiziell zum Islam übergetreten sei? Nicht so ist es mit der Französin Eva de Vitray-Meyerovitch (gest. 1999) widerfahren, die weitgehend als Islamwissenschaftlerin im Vergleich zu ihrer Kollegin Annemarie Schimmel, eher unbekannt ist. Dem soll das im deutschen neu erschienenen Buch „Eva de Vitray-Meyerovitch- Ihr Weg zum Herzen des Islam“ nun aber ändern. In einem langen Interview, geführt durch die beiden Eheleute Rachel und Jean-Pierre Cartier, erfährt der Leser über die einstige Schülerin und ihren lebhaften Dialog mit dem bedeutendsten Orientalisten des 20. Jahrhunderts Louis Massignon (gest. 1962), wie ihr Interesse zum Islam, was eher über ein zufälliges Geschenk eines Buches von ihrem muslimischen Kollegen regelrecht geweckt wurde:

(…) „Aus dieser Zeit habe ich eine außergewöhnliche Erinnerung, da ich an einem Abendessen mit Gandhi teilgenommen habe und somit herausragende Persönlichkeiten kennenlernen durfte. Unter ihnen war auch dieser Freund, der damals ein indischer Student und ein Schüler Einsteins war. Seitdem er nach Indien zurückgekehrt war, hatten wir gelegentliche Briefwechsel gehabt. Ich hatte erfahren, dass er der Rektor der Universität in Islamabad geworden war und vier Kinder hatte. Und plötzlich sah ich, dass dieser Freund nach so vielen Jahren zu mir kam. Er hatte auf der Suche nach mir viele Schwierigkeiten. Wir haben uns lange unterhalten. Er musste sein Laboratorium ausstatten. Da er Frankreich mit guten Erinnerungen verlassen hatte, hatte er sich bei seinen Bestellungen für Frankreich entschieden. Als er sich von mir verabschiedete, reichte er mir ein kleines Buch und sagte:

„Ich weiß, dass Sie an religiösen Themen stets interessiert sind. Lesen Sie dieses Buch, es ist ein wichtiges Werk unseres großen Meisters Ikbal!“

Ich sagte: „Vielen Dank, mein lieber Freund“ und legte das Buch auf den Tisch. Nach kurzer Zeit war es unter Dokumenten verschwunden. Zu dieser Zeit war ich wirklich schwer beschäftigt. Später öffnete ich endlich das besagte Buch. Es lautete „Die Wiederbelebung des religiösen Denkens im Islam“ und war auf Englisch. Ich wollte lediglich kurz hineinschauen, doch es fesselte mich nach den ersten Seiten. Plötzlich hatte ich den Eindruck, als würde dieses Buch all meine Fragen beantworten. Dort fand ich den ersehnten Universalismus. Im Wesentlichen fand ich dort, dass es nur eine Offenbarung geben konnte und dass eins plus eins überall auf der Welt zwei ergeben würde. Es sei unerheblich, ob Sie mit aztekischen, chinesischen oder arabischen Buchstaben schreiben, es handle sich stets um die eine, selbe Wahrheit.“

Aufgewachsen in einer aristokratisch-katholischen Familie, beschäftigte sich Meyerovitch schon sehr früh über die ontologischen Urfragen: Woher kommt denn das alles? Was soll ich denn hier? Wohin geht die Reise?  Viel ist über die studierte Juristin und promovierte Philosophin de Vitray-Meyerovitch im deutschsprachigen Raum nicht bekannt. Doch eins ist faktisch gewiss, sie machte es sich zu einer Lebensaufgabe das Herz des Islam zu entdecken, in seine Tiefen zu gelangen und diese Erkenntnisse einer breiten französischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und so widmete sie sich vor allem den Werken Rumis, angefangen von seiner Biografie bis hin zur Übersetzung des Masnawi, einem kolossalen Werk mit 50.000 Versen auf 1.700 Seiten, das erstmals 1990 ins Französische übersetzt wurde. Neben ihrer Lehrtätigkeit 1969 bis 1973 an der Al-Azhar-Universität, in Kairo, und ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin an der renommierten „Centre national de la recherche scientifique (CNRS)“ bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn, verfasste und übersetzte sie zahlreiche Bücher und Artikel über die Mystik im Islam, darunter auch die Werke von Muhammad Ikbal.

In diesem Buch nehmen uns die beiden Journalisten, Rachel und Jean-Pierre Cartier, mit auf eine atemberaubende Reise des Glaubens und stellen uns dabei eine Vielzahl von Denkern und Anekdoten über ihre zahlreichen persönlichen Freundschaften und beruflichen Begegnungen vor. Ihre bewegende, herausfordernde, edle und oft humorvolle Geschichte unterstreicht die Schönheit eines Glaubenslebens, das sie durch die Brille ihres spirituellen Meisters Rumi gelebt hat.

Übersetzt und mit einem Geleitwort von Emre Türk: Eva de Vitray-Meyerovitch, Ihr Weg zum Herzen des Islam, tredition Verlag, Hamburg 2023, 206 Seiten, gebunden, ISBN-Hardcover: 978-3-347-80413-5, Preis: EUR 24,95 (auch als eBook erhältlich)

ÜBER DEN AUTOR

Ecevit Polat

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