Kann das rituelle Gebet von Frauen geleitet werden?

Als im Jahre 2005 die Universitätsprofessorin Amina Wadud, das obligatorisch islamische Freitagsgebet als Vorbeterin in einer gemischten Gemeinde leitete, gab es einen großen Aufschrei nicht nur in der islamischen Welt. Viele Rechtsgelehrte wie Jusuf al- Qaradawi und der Großmufti von Saudi Arabien Abdul Aziz al-Sheikh warfen Wadud vor, den Islam von innen her zerstören zu wollen.

Als Grund gegen ein gemischtes Gemeinschaftsgebet wird allgemein folgendes aufgeführt:

„Das rituelle Gebet enthält mehrere Verbeugungen und Niederwürfe. Diese Positionen werden von beiden Geschlechtern eingehalten. Es würde von beiden Geschlechtern als störend empfunden werden, wenn nicht ein gewisser Abstand zwischen den Geschlechtern bestehen würde. Das Männer und Frauen räumlich getrennt beten, ist vor allem für die Frau ein Schutz. Sie wird, indem sie hinten (hinter den Männer) betet, von den Berührungen und Blicken der Männer geschützt“ (siehe hierzu: Wenn sich die Moscheen öffnen, S. 196-197).

In einem Interview auf die Frage, ob auch  Frauen das Freitagsgebet leiten dürfen, antwortete der in Oxford lehrende Islamwissenschaftler Tariq Ramadan folgendes:

„Das glaube ich nicht. Ich finde es besser, wenn ein Mann das Gebet anleitet, sobald Männer und Frauen zusammen beten, so wie es auch der vorherrschenden Gelehrtenmeinung entspricht. Das ist meine Position in dieser Auseinandersetzung. Mir sagt auch die Position des ägyptischen Muftis zu, der im Einzelfall keine Bedenken hat, wenn eine bestimmte Moschee sich für eine weibliche Vorbeterin entscheidet. Aber ich würde die Kontroverse über dieses Thema nicht forcieren, weil es heute wichtigere Themen gibt, wie zum Beispiel Bildung und Autorität in der Rechtsprechung sowie gesellschaftliche Verantwortung“ (Im Gespräch mit Claudia Mende, Qantara 27.05.2009).

Auffallend ist in diesem Interview, dass der in Europa angesehene Gelehrte Ramadan es gänzlich nicht ablehnen kann, also in Einzelfällen sogar eine Vorbeterin befürworten würde.

Wie ist nun die islamische Position zu diesem Thema?

Dürfen Frauen unter keinen Umständen als Vorbeterin in einer gemischten Gemeinde fungieren? Wie wurde diese Angelegenheit in der Zeit des Propheten gehandhabt? Gibt es in den authentischen Überlieferungen (Hadithen) Anhaltspunke zu diesem Vorfall?

Warum konnte Ramadan die Frage nicht einfach damit beantworten, dass der Islam eine Vorbeterin in einer Moschee als Haram (absolut verboten) bewertet?

Tariq Ramadan antwortete bedacht auf die Frage, indem er es nicht ausdrücklich als unislamisch verneinen konnte. Wie viele seiner Kollegen wusste auch er, dass  es Belege für die Sichtweise Amina Waduds in Hadith-Sammlungen gibt.

Im Hadith- Kompendium von Abu Davud (817-889) wird der folgende Hadith überliefert:

„Der Prophet besuchte Ummu Varaka in ihrer Wohnung und beauftragte einen Muezzin, um den Ezan (Gebetsruf) auzurufen. Gleichzeitig befahl der Prophet ihr, das Gebet in der Wohngemeinde als Vorbeterin zu verrichten. Abdurrahman sagt dazu: Ich habe den Muezzin dieser Wohngemeinde  gesehen, es war ein alter Mann gewesen“ (siehe hierzu: Sunen- i-Abu Davud, Bd.1,S. 503-504. Erkam Yayinlari).

Diese Prophetenüberlieferung macht deutlich, dass auch Frauen das rituelle Gebet leiten können. Denn hierin wird Ummu Varaka vom Propheten persönlich berufen, die Wohngemeinde im Gebet zu leiten. Zusätzlich wird von Abdurrahman erwähnt, dass unter den Betenden ein männlicher Muezzin zugegen war, der schließlich hinter ihr im Gebet stand. Dies ist wiederum ein Hinweis dafür, dass es eine gemischte Wohngemeinde war.

Die Befürworter einer Vorbeterin in einer Gemeinde, verwenden diese Überlieferung des Propheten Muhammad (s) als ihre Bezugsquelle. Sie behaupten auch, dass kein Rechtsgelehrter die Befugnis hat, eine Religiöse Funktion zu unterbinden, wo es der Prophet nachweislich selbst in Überlieferungen angeordnet hatte. Wenn es Haram (verboten) wäre, wäre es ganz bestimmt im Koran oder in den Aussprüchen des Gesandten aufgeführt.

Fraglich bleibt am Ende jedoch der Konsens (Idschma) der Mehrheit der Gelehrten darüber, dass es unter allen Umständen verboten ist, dass Frauen das Freitagsgebet leiten. Die Männer würden in Gefahr laufen, sich nicht mehr auf das Gebet konzentrieren zu können. (vgl. Wenn sich die Moscheen öffnen, S. 196-197). Das Urteil dieser Rechtsgelehrten basiert demnach auf eine Fatwa (Rechtsspruch).

Kann ein Rechtsspruch der Gelehrten, der die Handlungsweise des Propheten (s) außer Acht lässt, noch als Rechtsspruch gelten?

ÜBER DEN AUTOR

Ecevit Polat

8 Kommentare

  • Salamaleykum. Danke vielmals für deinen Beitrag! Ein sehr interessantes Thema hast du dir da ausgesucht. Wenn man mich persönlich fragen würde, würde ich auch eher die Meinungen der Gelehrten vertreten. Einige Männer könnten meiner Meinung nach sich nicht auf das Gebet konzentrieren. Aber ein interessanter Hadith, den du hier aufgeführt hast. Lese ich zum ersten Mal dieses Hadith.

  • Selam Abdusamed,

    man könnte sich auch Fragen stellen, wie es wäre, wenn eine 70 Jährige Oma das Gebet in der Gemeinde leiten würde. Könnten sich die Männer auch dann nicht auf das Gebet konzentrieren? Tatsache ist und bleibt, dass eine Vorbeterin schon als Gedanke unkonventionell auf unsere Vorstellungen wirkt. Aber noch entscheidender ist es, ob die Rechtsgelehrten nach eigenem Empfinden und Überlegungen eine Handlungsweise des Propheten nicht bewilligen können und dürfen.

  • Abdusamed

    Wenn sich Maenner waehrend des Gebets wegen einer Frau nicht konzentrieren können liegt es hauptsaechlich daran dass sie zu wenig Glauben haben – eine Moschee ist ein Ort wo Gottes gedacht wird alles andere ist hintergründig meiner Meinung nach – die Vorbeterin betet ja nicht in Bikini oder?

  • Merkwürdig ist, dass diese Richtung dann Hadite auskramt, wenn es ihnen in den Kram passt. Letztendlich ist für liberale Muslime, das was im Koran steht ausschlaggebend und nicht die Hadite. Das ist der Grund, warum sie auf ganz andere Ergebnisse kommen als die Mehrheit der Gelehrten. Die Meinung der Mehrheit der Gelehrten zu diesem Thema, spielt für diese Strömung innerhalb des Islams keine Rolle.
    Umm Waraqah führte ein Gebet in eine Wohngemeinschaft. Es ist hier nicht die Rede von Freitagsgebeten und nicht von Gebeten in der „Öffentlichkeit“.

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