Designer über Islamophobie
Nach dem Mord an Marwa El-Sherbini hat Melih Kesmen, der Erfinder des muslimischen Modelabels Styleislam, Unterschriften gesammelt – um die Kanzlerin dazu bringen, sich zum Mord zu äußern.
Designer Melih Kesmen: „Das Schweigen signalisiert doch den Islamfeinden: Es ist in Ordnung was wir tun, niemand regt sich darüber auf.“ Foto: privat
taz: Herr Kesmen, warum soll sich Angela Merkel unbedingt zu dem Mord an Marwa El-Sherbini äußern?
Dieser Mord ist in einem öffentlichen, staatlichen Gebäude passiert, in einem Gericht. Ich und auch andere Muslime stellen sich die Frage, wie sicher kann ich mich denn fühlen, wenn ich mein Recht einfordere. Will der Staat mich eigentlich genauso schützen wie die so genannte Mehrheitsgesellschaft? Dazu will ich eine eindeutige Aussage von Angela Merkel haben.
Aber Sie hat sich doch beim ägyptischen Präsidenten auf dem G8-Gipfel entschuldigt?
MELIH KESMEN, 33, ist Designer. Er wuchs im Ruhrgebiet auf und lebte längere Zeit in London. 2007 hat er das Label Styleislam gegründet, welches Mode und Musik für junge Muslime verkauft. Außerdem hat er nach dem Mord an Marwa El-Sherbini die Unterschriftensammlung „Wo bleibt Merkel“ initiiert. Die Seite ist seit zehn Tagen online und etwa zehntausend Menschen haben unterschrieben.
Sie halten Deutschland also für insgesamt islamfeindlich?
Unsinn. Es war die Tat eines irren Einzelnen. Aber der Ort schockiert und die Stille danach auch. Schauen Sie sich die Berichterstattung und den Aufschrei in der Öffentlichkeit an, wenn es einen so genannten „Ehrenmord“ gibt und dann vergleichen Sie es mit dem Mord von Dresden. Deutschland ist nicht islamfeindlich, aber es gibt eine wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland. Das erleben wir täglich, vor allem die Frauen mit Kopftuch, die angepöbelt werden.
Ich wohne in Neukölln. Weder beim U-Bahn-Fahren noch beim Einkaufen habe ich je erlebt, dass eine Frau mit Kopftuch angepöbelt wurde. Bin ich blind, weil es mich nicht betrifft?
Es läuft einfach subtiler ab. Neulich war ich mit meiner Frau in Dortmund unterwegs. Da kommt eine andere Frau, Mitte 40 und normal gekleidet an uns vorbei und sagt: Pfui. Wir gehen drei- vierhundert Meter weiter und dann frage ich: Sag mal, hat die uns gemeint? Und meine Frau sagt: Ja, sie hat mir dabei ins Gesicht gesehen und Pfui gesagt. Und das war kein Skinhead, es war einfach irgendeine Passantin. Und was meine Frau erlebt, erleben viele. Männer übrigens auch, ich selbst manchmal auch.
Wann zum Beispiel?
Neulich war ich zur Inspektion meines Autos in einer Werkstatt. Ich musste warten und habe ein paar Magazine gelesen. Etwas weiter weg saßen drei Verkäufer, aus dem Augenwinkel habe ich gemerkt wie die zu mir rüberschauen. Plötzlich höre ich nur dieses eine Wort: Taliban. Das muss man sich mal vorstellen: Ich komme dorthin, bezahle viel Geld und dann muss ich mich auch noch anpöbeln lassen.
Was haben Sie gemacht?
Ich bin zu dem Verkäufer hingegangen und habe ihn angesprochen: Haben Sie ein Problem mit meinem Bart? Erst hat er versucht mich zu ignorieren, dann hat er gesagt: Es sei jetzt nicht die richtige Zeit darüber zu reden. Er kam mir wirklich auf diese blöde Tour. Dann bin ich zum Verkaufsleiter gegangen und der sagte mir dann, seine Leute hätten wohl eine politische Diskussion geführt. Klar doch, Mann, verarschen kann ich mich alleine.
Was würde eine Äußerung Merkels daran ändern?
Erst einmal konkret sehr wenig. Aber in jeder Diskussion um Rechtsextremismus heißt es, wie wichtig es sei, dass die Autoritäten solche Taten verurteilen. Was ist denn hier bitte anders? Das Schweigen signalisiert doch den Islamfeinden: Es ist in Ordnung was wir tun, niemand regt sich darüber auf. Wir Muslime brauchen ein Zeichen von der Politik ganz oben.
Hat der Mord an Marwa El-Sherbini die Muslime auch deshalb so sehr aufgewühlt, weil ihr Mann Wissenschaftler und sie Apothekerin war – sie beide also zum muslimischen Mittelstand, zur Elite gehörten?
Ja. Fast jeder muslimische Bürger identifiziert sich mit diesem Ehepaar. Beide haben dazugehört und sich eingebracht. So wollen die meisten von uns hier leben, das ist unsere Heimat, hier sind unsere Freunde und hier zahlen wir unsere Steuern. Umso größer die Erschütterung, wenn es ausgerechnet so jemanden trifft. Hinzu kommt: Marwa hat alles richtig gemacht. Sie hat Zivilcourage bewiesen und einen Rassisten angezeigt. Und dafür ist sie bestraft worden.
Nach dem Mord war oft zu hören, der Täter sei als Russlanddeutscher gar nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft. In Russland gebe es nun einmal eine offene Islamophobie.
Erstens ist das ein rassistisches Vorurteil. Ich kenne einige Russlanddeutsche, das sind nette Menschen und teilweise meine Freunde. Zweitens wird es niemandem helfen das Problem nach Sibirien auszulagern. Dieser Mord ist hier passiert. Wenn die Mehrheit der Deutschen das von sich wegschiebt, erschwert das die Verständigung erheblich.
Geht es denn um Minderheitenkonkurrenz – also um einen Streit zwischen zwei benachteiligten Gruppen?
Wenn das irgendwo in einem Problemghetto passiert wäre und Gangs aus verschiedenen Ethnien sich den Schädel eingeschlagen hätten – dann vielleicht. Aber in Dresden hat ein Nazi eine Bürgerin erstochen, weil sie ein Kopftuch getragen hat. Manch einer mag das gerne so sehen wollen, dass sich da zwei Ausländer die Köpfe eingeschlagen haben. Aber das ist nichts als Verdrängung.
Islamistische Gruppen versuchen den Fall für sich zu nutzen und ihr Feindbild einer westlichen Gesellschaft zu propagieren – im Internet oder auf Demonstrationen. Was sagen Sie dazu?
Es gibt sicherlich Gruppen, die versuchen, die Empörung über den Mord aus Eigeninteresse zu nutzen und ihre eigene Stellung zu stärken. Aber wenn alle anderen schweigen, dann gibt es ein Vakuum, welches die ausfüllen, die reden. Außerdem gibt es im Im Islam eine wichtige Regel, laut der alle Taten anhand der Absichten bewertet werden. Und da müssen sich alle fragen: Werde ich mit meinen Absichten vor Gott bestehen. Denn sie werden sich vor ihm dafür persönlich verantworten müssen.
Werden Sie die Unterschriften an Merkel heute persönlich übergeben?
Nein, ich schicke sie hin – per Einschreiben. Danach fliege ich für ein paar Tage nach Zypern zu einem englischen Freund – Urlaub machen.
INTERVIEW TAZ/DANIEL SCHULZ